Helfen Praxisintegrierte Studiengänge gegen den Fachkräftemangel?
Der Bund sucht Rezepte gegen den Fachkräftemangel. Probeweise können Maturand:innen seit 2015 ohne vorgängiges Praktikum ein MINT-Studium an einer Fachhochschule beginnen. Inwiefern diese Massnahme erfolgreich ist, zeigt die Wirkungsanalyse von econcept.
Mit dem Praxisintegrierten Bachelorstudiengang PiBS schuf der Bund die Möglichkeit, dass Absolvent:innen einer gymnasialen Maturität (GM) oder einer Berufsmaturität (BM) mit fachfremder Studienrichtung ein FH-Studium im MINT-Bereich aufnehmen dürfen, ohne zuvor eine einjährige Arbeitswelterfahrung (AWE) absolviert zu haben. Anstelle der AWE wird die Praxiserfahrung während des Studiums erworben, wobei die Dauer von Studium und Praxiserfahrung im Vergleich zur Zulassung mit AWE insgesamt unverändert bei vier Jahren liegt.
Mit Blick auf den Abschluss der Pilotphase beauftragte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) econcept damit, eine Wirkungsanalyse zu PiBS durchzuführen. Im Fokus standen die Fragen, welche Wirkungen PiBS bei PiBS-Absolvent:innen sowie Unternehmen hatte, inwieweit PiBS einen Beitrag zur Minderung des Fachkräftemangels im MINT-Bereich leisten konnte und wie sich PiBS auf die Bildungssystematik auswirkte.
Zunahme von Angebot und Nachfrage
Inzwischen führen alle FH ein PiBS-Angebot. Seit 2015 starteten mehr als 500 Personen ein PiBS-Studium (Stand: August 2023, ohne Eintritte 2023). Die Wirkungsanalyse zeigt zwar, dass das Interesse an PiBS seit dem Start im Jahr 2015 stetig zugenommen hat. Im Vergleich zu den FH-Eintritten sind die PiBS-Eintritte generell jedoch weiterhin auf tiefem Niveau. Von 2019 bis 2022 schlossen pro Jahr nur rund 20–30 Studierende ein PiBS-Studium ab.
Gemäss FH ist die Nachfrage nach Studienplätzen so gross, dass nicht alle Interessierten einen PiBS-Ausbildungsplatz finden. Den Flaschenhals bilden die Unternehmen: Sie wählen die Kandidierenden gezielt entlang ihrer eigenen Bedürfnisse aus und ohne Ausbildungsvertrag erhalten Interessierte keinen PiBS-Studienplatz.
Keine substanzielle makroökonomische Wirkung, jedoch Beitrag für einzelne Unternehmen
Der Grossteil der PiBS-Studierenden und -Absolvent:innen hätte gemäss eigener Aussage auch unabhängig von PiBS ein MINT-Studium in Angriff genommen. Dementsprechend ist die quantitative und makroökonomische Wirkung von PiBS auf die Minderung des Fachkräftemangels als gering einzuschätzen. PiBS hat bisher die Anzahl MINT-Fachkräfte nicht substanziell erhöht.
Auf mikroökonomischer Ebene ist ein Beitrag zur Minderung des Fachkräftemangels aber gegeben. So etablierte sich PiBS für einzelne Unternehmen als wertvolle Massnahme, um gezielt Fachkräfte für eine vierjährige Ausbildungszeit zu rekrutieren. Auch konnten die Partnerunternehmen in der Vergangenheit eine beachtliche Anzahl an PiBS-Absolvierenden weiterbeschäftigen. Schliesslich zeigte die Wirkungsanalyse, dass auch der Grossteil der PiBS-Absolvent:innen, die nicht bei ihrem Partnerunternehmen geblieben sind, weiter im MINT-Bereich beschäftigt sind.
Befürchtete negative Auswirkungen auf die Bildungssystematik ausgeblieben
Der Anteil der PiBS-Eintritte an den FH-Eintritten wird gemäss Potenzialabschätzung auch in den kommenden Jahren gering bleiben, wobei der Anteil für den Fachbereich Technik und IT tendenziell steigt. Damit bleibt der Königsweg an die FH über EFZ mit BM erhalten und sind die BM-Absolvent:innen an den FH im MINT-Bereich weiterhin in der Mehrheit.
PiBS bietet neben dem Weg über die AWE einen zusätzlichen Zugang an die FH für Gymnasiast:innen, bei dem fehlende Praxiserfahrung aufgeholt werden kann. Ebenso stellt PiBS für Unternehmen aufgrund der Bindung der Studierenden über vier Jahre eine finanziell attraktive Alternative gegenüber der AWE dar.
Wie geht es mit PiBS weiter?
Der Hochschulrat entschied anfangs 2024, PiBS zu verstetigen. Das Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz wird nun entsprechend angepasst. Am 4. September 2024 eröffnete das SBFI das Vernehmlassungsverfahren diesbezüglich.
Autorin: Flavia Amann
> Link zum Artikel im Magazin Transfer