Kompensatorisches Abstimmen in der Schweiz

Im Rahmen einer Untersuchung haben Jasmin Gisiger und Mitautoren erstmalig ein Messinstrument für kompensatorisches Abstimmen entwickelt. Eine genauere Betrachtung dieses Stimmverhaltens zeigt, dass es sich keineswegs um ein neues Phänomen handelt und insbesondere Alter und Regierungsvertrauen wichtige Einflussfaktoren sind.

Abstimmungen ermöglichen Bürgerinnen und Bürgern, sich zu Sachfragen direkt zu äussern. Dabei bedeutet ein «Ja» nicht immer ein «Ja» und ein «Nein» auch nicht stets ein «Nein»: Stimmbürgerinnen und Stimmbürger entscheiden in gewissen Situationen strategisch, d.h. optieren für eine andere als die eigentlich bevorzugte Option, um auf diese Weise einen günstigeren Abstimmungs- oder Wahlausgang zu erzielen.

Während kompensatorisches Wählen bereits gut erforscht ist, misst die Untersuchung zum ersten Mal Prävalenz bzw. Ausmass kompensatorischen Abstimmens in der Schweiz. Dazu wurde das Stimmverhalten bei Volksinitiativen im Zeitraum zwischen 1993 und 2015 untersucht. Als kompensatorisch Stimmende werden gut über die Vorlage informierte Personen gezählt, welche ein «Ja» einlegen, aufgrund ihrer sachpolitischen Präferenzen aber näher bei einem «Nein» zu einer Vorlage wären.

Die Ergebnisse zeigen, dass kompensatorisches Stimmen im gesamten Untersuchungszeitraum vorkommt. Durchschnittlich rund sechs Prozent der gut Informierten stimmen auf diese Weise ab. Dabei zeigen sich insbesondere das Alter und das Vertrauen in die Regierung als wichtige Einflussfaktoren: Je älter eine Person ist, desto eher stimmt sie strategisch ab. Personen hingegen, welche der Regierung vertrauen, stimmen mit geringerer Wahrscheinlichkeit kompensatorisch ab.


Link zum Journal (Abstract ist zugänglich)

Quellen:

  • Zum Messinstrument
    Gisiger, Jasmin; Thomas Milic und Daniel Kübler (2019). Compensatory Voting in Direct Legislation. Evidence from Switzerland. Swiss Political Science Review 25(2): 103-127.
  • Zu den Einflussfaktoren
    Gisiger, Jasmin und Thomas Milic (in Druck). «Ja» stimmen und «Nein» wollen, in: Kübler, Daniel; Andreas Glaser und Monika Waldis: Brennpunkt Demokratie – 10 Jahre Zentrum für Demokratie Aarau. Baden: Hier und Jetzt.